Entzündungs- und Nekrosesydrom (SINS) in sächsischen Schweinehaltungen – Vorkommen, Auswirkung und Einflussfaktoren (SINS-Sachsen)
Drittmittelprojekt an der HTW Dresden
Projektleiter: Prof. Dr. med. vet. Markus Freick
Mitarbeiter: Dipl.-Ing. agr. Andrea Friebe
Operationelle Gruppe:
- Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (HTW Dresden)
- Interessengemeinschaft der Schweinehalter in Sachsen e.V. (IGS e.V)
- Sächsische Tierseuchenkasse (TSK)
- Blum Agrar GmbH
- Schweineproduktion Burkersdorf GmbH
Kooperationspartner: Praxisbetriebe (Schweinehalter)
Fördermittelgeber:
Sächsisches Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und Geologie (LfULG) –EIP Agri (Identifikationsnummer: 332019017401LWC)
Laufzeit: 07/2020 – 12/2022
Abschlussbericht: Zum Download in der EIP-Projekt-Datenbank
Prof. Dr. med. vet. Markus Freick
Martin-Luther-Universität Halle
Lehrstuhl für Nachhaltige Nutztierhaltung und Tiergesundheitsmanagement
Problemstellung
Durch Schwanzbeißen verursachte Schwanzläsionen beim Schwein stehen derzeit im Fokus des Interesses von Tierhaltern, Tierärzten und der Gesellschaft aufgrund ihrer negativen Bedeutung für das Tierwohl, die Wirtschaftlichkeit der Tierhaltung und der Bestrebungen in der EU, zukünftig auf das routinemäßige Schwänzekupieren beim Saugferkel zu verzichten (VO 2008/120/EC). In Deutschland und somit auch in Sachsen setzt der „Aktionsplan zur Einhaltung der Rechtsvorschriften in Bezug auf das Schwänzekupieren beim Schwein“ ab 2019 neue Maßstäbe (Erlass des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz vom 11. April 2019).
Bezüglich Schwanzverletzungen beim Schwein werden drei Kausalitäten unterschieden: 1) Schwanzbeißen als Verhaltensstörung (primäres Schwanzbeißen) (Taylor et al. (2010), 2) sekundäres Schwanzbeißen an vorgeschädigten Schwänzen und 3) Schwanznekrosen ohne Zutun anderer Tiere (EFSA, 2007; D´Eath et al., 2014). Bei den auftretenden Schwanzverletzungen in den Herden der Praxisbetriebe ist eine Zuordnung der relevanten Kausalität(en) regelmäßig nicht eindeutig möglich, was das Einleiten geeigneter Gegenmaßnahmen erheblich erschwert.
Zum Schwanzbeißen als Verhaltensstörung existieren zahlreiche Forschungsarbeiten, in denen Einflüsse der Haltung (Wettbewerb um Futter und Raum), des Stallklimas, der Ernährung, des Vorhandenseins einer Umweltanreicherung in Form von Beschäftigungsmaterial und der Tiergesundheit in einem multifaktoriellen Geschehen identifiziert werden konnten. Zusammengefasst wurden diese Faktoren in einer Checkliste des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (Meyer, 2019), die den Schweine haltenden Betrieben zur Verfügung steht und deren Anwendung in Sachsen etabliert ist. Das im Freistaat Thüringen 2018 abgeschlossene EIP-Agri-Projekt „Thüringer Beratungs- und Managementsystem Caudophagie“ identifizierte in gleicher Weise die Tiergesundheitssituation in den Beständen, eine frühzeitige Erkennung von Tiersignalen, das Aufdecken von Fehlversorgungen bezüglich Futter und Tränkwasser, die Vermeidung von Hitzestress, die Schaffung von Temperaturzonen sowie die Schulung des Personals als wesentliche Ansätze zur Reduktion des Schwanzbeißens, kommt aber zu dem Schluss, dass noch weiterer Forschungsbedarf besteht, bevor routinemäßig auf das Kupieren verzichtet werden kann (Große-Vorspohl und Müller, 2019).
Neben dem Auftreten von Schwanz- und Ohrverletzungen im Zuge von antagonistischen Verhaltensweisen ist in den letzten Jahren ein Entzündungs- und Nekrosesyndrom beim Schwein (Swine Inflammation and Necrosis Syndrome, SINS) in den Fokus des Interesses gerückt. Die dabei zu beobachtenden Läsionen können außer im Schwanz- und Ohrenbereich auch an Kronsaum, Ballen, Sohlen, Gesäuge, Nabel und Gesicht beobachtet werden. Sie treten ohne das Zutun anderer Schweine auf und können nicht allein durch Technopathien erklärt werden (Reiner, 2019). Es wurde gezeigt, dass Ferkel bereits mit SINS geboren werden können. So ergab eine Studie aus Thüringen, in der 4700 Saugferkel aus 19 Herden in der ersten Lebenswoche untersucht wurden, eine Prävalenz von 80 % bezüglich Entzündungs- und Nekrosesymptomen im Bereich der Ballen bzw. 50 % im Kronsaumbereich und 20 % an der Schwanzbasis. Die Prävalenzen wurden beeinflusst von der Genetik und dem Alter der Ferkel. Darüber hinaus konnte eine Korrelation zwischen dem Schwänzekupieren (Länge des Stumpfes) und dem Auftreten von Schwanznekrosen nachgewiesen werden (Reiner et al., 2019). Unter Prüfstationsbedingungen wurden Ferkel mit geringen und solche mit starken SINS-assoziierten Veränderungen aufgezogen und gemästet. Dabei zeigte sich eine Assoziation mit der Leistung und mit Stoffwechselparametern (Reiner, 2019). Als mögliche Ursache für SINS wird die Wirkung bakterieller Abbauprodukte wie z.B. Lipopolysaccharid (LPS) diskutiert (Reiner, 2019; Reiner et al., 2019). Unphysiologisch hohe Anflutungen im Blutkreislauf der Schweine können bei starker Keimvermehrung im Darm, Darmerkrankungen, hohem Protein/Rohfaser-Verhältnis und Störungen der Blut-Darm-Schranke beobachtet werden (Klein et al., 1988).
Erfahrungsberichte von Schweinehaltern und Tierärzten weisen darauf hin, dass auch in Sachsen SINS auftritt. Ein flächendeckendes Problembewusstsein bei den Tierhaltern, Daten zur Prävalenz bei Saugferkeln und zu möglichen Folgen in der Aufzucht und Mast bezüglich Schwanz- und Ohrverletzungen sowie zu fütterungsbedingten Einflüssen existieren derzeit allerdings nicht.
Zielstellung und Projektinhalt
Die sächsischen Schweine haltenden Betriebe sollen bei der Etablierung des „Aktionsplanes Kupierverzicht“ in der Praxis unterstützt und fachlich begleitet werden. Dies umfasst u.a. die Erfassung der Prävalenz von Schwanz- und Ohrverletzungen in Aufzucht und Mast sowie möglicher Einflussfaktoren im Rahmen von Risikoanalysen unter Verwendung der Checkliste des LfULG. Darüber hinaus sollen die Prävalenzen von SINS-assoziierten Veränderungen in verschiedenen Körperregionen bei neugeborenen Ferkeln ermittelt und ein bildgebendes Verfahren zur (teil)automatisierten Erfassung entwickelt werden, das später als objektives Werkzeug von Tierhaltern zur betrieblichen Eigenkontrolle tierbezogener Tierschutzindikatioren (Tierschutzgesetz, 2014) sowie von Tierärzten und Beratern genutzt werden kann. Ein weiteres Ziel ist es, Effekte früher SINS-Veränderungen (Saugferkel) bezüglich Schwanz- und Ohrverletzungen in Aufzucht und Mast durch Verlaufsuntersuchungen an ausgewählten Tieren darzustellen. Durch erweiterte Futtermittelanalysen (Vollanalysen Mischfuttermittel, Partikelgröße, Analyse physiologisch bedeutsamer Faserfraktionen, Mykotoxine) bei Sauen, Aufzuchtferkeln und Mastschweinen sowie Blutuntersuchungen (ausgewählte Entzündungsparameter, Endotoxine) bei Sauen (Blutproben aus PRRS-Programm der Sächsischen Tierseuchenkasse) sollen Einflussfaktoren auf das Auftreten von SINS ermittelt werden.
Folgende innovative Fragestellungen sollen daher im Projekt bearbeitet werden:
- Wie hoch ist die Prävalenz von SINS-assoziierten Veränderungen in verschiedenen Körperregionen bei Saugferkeln in sächsischen Betrieben? Gibt es Einflüsse des Betriebes, der Genetik und der Sauenfütterung?
- Kann mittels bildgebender Technik ein (teil-)automatisiertes System zur Detektion von SINS beim Saugferkel entwickelt werden, das Untersucher unabhängige, objektive Ergebnisse liefert?
- Spielen beim Saugferkel beobachtete SINS-assoziierte Veränderungen eine Rolle bezüglich des späteren Auftretens von Schwanz- und Ohrverletzungen in Aufzucht und Mast und hinsichtlich der Lebenstagszunahmen?
- Welchen Einfluss haben die Futterzusammensetzung (Fokus: Faserfraktionen, Partikelgrößen, Mykotoxine) im Sauenfutter, die Kotkonsistenz der Sauen (als Tiersignal für die Fütterung einer geeigneten Faserfraktion) und die Endotoxinkonzentration im Blut der Sauen auf das Auftreten von SINS beim Neonaten und die Kolostrumqualität?
- Welchen Einfluss hat die Futterzusammensetzung beim Absetzen und in der Mast auf das Auftreten von SINS bzw. Schwanz- und Ohrverletzungen in diesen Haltungsabschnitten? Wie sicher gelingt die Differenzierung von Veränderungen infolge von SINS zu Verletzungen infolge von Verhaltensstörungen bzw. Mischformen aus beiden?
Nach der Prüfung der genannten Fragestellungen unter Praxisbedingungen sollen die erhobenen Daten die Basis für ein Beratungskonzept im Hinblick auf SINS liefern, welches die Schweinehalter verstärkt für die SINS-Problematik sensibilisiert, den Transfer der gewonnenen Erkenntnisse in die sächsischen Schweinehaltungen sicherstellt (Schulungen der Betriebsleiter und Mitarbeiter) und möglicherwiese die Checkliste des LfULG zum Schwanzbeißen um die Thematik SINS erweitern kann.